SKOP - Experimentelle Musik und Kunst im interdisiziplinären Kontext, Text
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Biographische Daten |
SKOP hat Abbildungen von Vera Grundhöffer zu verschiedenen Shows zusammengestellt.
Zu den Papierbildern - QuickTime Show
Serie ohne Titel, Tusche, Deckweiß - 35 x 47 cm
Krakelüren - QuickTime Show
Pigmentlasur auf Spannplatte - 70x70 cm, alle ohne Titel
Zuerst ist da eine Tafel.
Die ist mir seit der Kindheit sehr vertraut.
Man schrieb auf ihr, erhielt über sie Anweisungen,
lernte Lettern zu entziffern. Es war nicht selten
(oft) eine mühsame Arbeit.
Hatte ich später ein Bild im Kopf,
wollte es entziffert werden.
Bildvorstellungen ließen
sich nicht trennen von
der Textualität eines Bildes
und vom Bild als strukturellem
Moment des Textes: als
Schriftbild.
Jede Produktion oder Reproduktion
eines Bildes beschrieb eine
Textrealisierung, wie
jeder Text Bild war als
ein dichtes Gestöber von
wandelbaren, farbigen und streitenden
Lettern.
So war es leicht das alt-orientalische
Bildnisverbot als rituellen Gestus hervorzukramen,
und Schriftzüge als Pinselkrakelüren farbig
übereinander zu legen.
Die Begrenzung der Tafel
unterbricht das Oszillieren
die Verschiebungen und Vexationen
des entstehenden Gewebes.
Es ist Mal einer unlesbaren
Lesbarkeit, die nicht in Bedeutung terminiert,
sondern diese stets an einen schriftlichen
Bild-Raum verweist, einen Raum, der Text ist
und Ort der Zerreißung der Bilder,
Raum der in und als textuellen/r Vollzug
und Entzug sich realisiert:
bildlos, Zuflucht aller Bilder.
Das Bild als Attrappe.
Die Phrase als Gewölbe.
Das Gewölbe als Kulisse.
Begleittext von Vera zur Ausstellung 'Architektonik I'
des SKOP e.V., Frankfurt/Main, 1996.
Der Text verwendet Bruchstücke aus
'Bild-Textualität' von Bettina Menke.
Übermalungen: übermalte Fotos - QuickTime Show
Dr. Bernhard Uske über Vera Grundhöffer
(Grußwort zur Ausstellung 'Camouflage')
Zuerst fallen gewisse gestalterische Gemeinsamkeiten auf - die Bildflächen sind vollständig bemalt, die Textur breitet sich gleichmäßig, ohne Zentrierung und Schwerpunktbildung aus. Die Einzelelemente haben großen kalligraphischen Reiz. Es sind kurze, geschwungene und gekrümmte Farblinien unterschiedlicher Größe und Dicke. So entsteht der Eindruck von über- und untereinander hindurchlaufenden Schriftzug-Fragmenten. Das Gewebe ist ungemein dicht und drückt eine souverän gehandhabte Gestaltungskraft aus.
Vera Grundhöffers ausgefüllte Figurationsfelder besitzen eine Gestaltkontur wie florale, überwachsene Flächen. Sie strahlen große Ruhe aus wie alles, was sich in vollkommenem Gleichgewicht befindet. Auf der Mikroebene aber offenbart sich eine höchst lebendige Faktur. Je näher man sich mit den Bildern einläßt - und ich meine das ganz konkret: je näher man ihnen kommt und sie en détail aufnimmt - desto mehr Bewegung, quirlendes Über- und Untereinander, Nebeneinander und Miteinander zeigt sich.
Alle Einzelelemente sind gleichermaßen in Bewegung, und alle Einzelelemente haben den gleichen Bewegungsschub - aber jeder dieser Bewegungskräfte der einzelnen Linienzüge schafft einen anderen Bewegungscharakter. Gleiche Voraussetzungen für alle Elemente einerseits - je andere Realisierungswirklichkeiten und Existenzweisen des einzelnen Elements andererseits.
Ich möchte Ihnen das gar nicht als eine Metapher des Politischen auseinanderlegen, sondern die entscheidende Differenz solchen künstlerischen Tuns zu ähnlichen Ansätzen in der jüngsten Kunstgeschichte benennen.
Was Vera Grundhöffer als Ansatz ihrer Arbeit gewählt hat, kennen wir aus dem Abstrakten Expressionismus der US-amerikanischen Avantgarde, namentlich Jackson Pollocks und nennen es eine all-over-structure. Es gibt die Fotografien, wo Pollock zu sehen ist, wie er über der auf dem Boden liegenden Leinwand steht, den Eimer mit Farbe in der Hand, in den er einen Stil taucht und dessen farbtropfendes Ende über der Malfläche bewegt. Die drippings füllen schließlich die gesamte Fläche aus und haben jenen spritzerhaften und kleckrigen Kontur, den Sie alle schon gesehen haben. Andere, wie Franz Kline, die mit Bürsten die Leinwand bearbeiten oder der Kölner lves Klein, der mit Körperabdrücken und am Boden schleifenden Krawatten als Farbaufträgern wirkte, sind Varianten solcher unmittelbaren, gestischen Ausdruck suchenden Kunst.
Im Gegensatz dazu bindet Vera Grundhöffer Farb- und Konturenzüge auf der Malfläche nicht an unwillkürliche, beiherspielende, zufällig entstehende Ergebnisse der schwenkenden, fahrigen Hand- oder Körperbewegung, sondern an bewußte, subjektive Intention. Vera Grundhöffer sucht höchst freie, leichte und zwanglose Gestaltung, aber dazu braucht sie bedachtes, genau geplantes Verhalten, auch Zurücknahme erster reflexhafter Impulse. Die Künstlerin scheint zu wissen, daß gestalteter Ausdruck die Unterbrechung der vegetativ-nervösen Kettenreaktion ist, so attraktiv sie als Bildwirkung auch sein mag. Grundhöffers Handbewegung drückt das lneins von andrängendem, senso-motorischem Impuls in der Geste und dessen Verschmelzung mit Intentionen eines seiner selbst bewußten Ich aus. So wird Unwillkürliches und Willkürliches zu einer bildnerischen Einheit. In ihr bleibt alle haptische Qualität und Attraktivität des grob Sinnlichen erhalten. Und doch wird es in Grundhöffers taktiler Strategie gezielt und gerichtet. Es wird ein kompositorischer Zusammenhang.
Vor den Bilduntergründen stellt sich so ein Höchstmaß an differenzierter Figur- und Farbkonsistenz ein. Wer könnte sagen, wieviel Arten des mehr oder weniger Durchsichtigen, des mehr oder weniger Glasigen, des Opaken, Leichteren oder Schwereren, Verschwommeneren oder Schärferen, Rauheren oder Glatteren in den Gestaltcharakteren gegeben ist, hat doch jedes Kürzelelement nicht nur seinen eigenen Bewegungszug, sondern dabei auch seine je eigene Farbkörper-Fülle.
Für den Betrachter ist die Erfahrung des Eindringens in dieses wuchernde, oft dickichthafte Verschlungensein ein fesselnder Wahrnehmungsvorgang, der viele Perspektiven eröffnet. Ein nahezu klassisches Phänomen der Op-Art ist hier gleichsam beiläufig realisiert: bei längerem Fokussieren tritt der je andersfarbige Malgrund der Bilder hervor, und dann werden die im Dickicht durchscheinenden Freiflächen so etwas wie Negativfiguren und diese im Vexierbild zur farbigen Hauptsache. Dann ist auch der Raum zwischen den Figuren zur Figur geworden: all-over-structure, all-over-figure.
Mit dem Stichwort vom kalligraphischen Reichtum der Bilder war schon ein Hinweis gegeben worden auf ein Medium, das nicht ohne weiteres mit bildkünstlerischer Arbeit verbunden wird: die Schrift. Die Kürzelschrift des Stenogramms kennen Sie alle und die Schriftzeichen der arabischen Kultur auch. An sie kann man denken, wenn man Grundhöffers Figurationen sieht. Aber hier werden die unzähligen Bewegungs- und Gestaltvarianten, die auch jeder in seiner Handschrift pausenlos unbedacht aufs Papier bringt aus ihrer bloßen Funktion der Nachrichtenübermittlung entlassen, um ihren figürlichen Reichtum entfalten zu können.
Dabei entsteht keine kunstgewerblich veredelte Graphologie, wo wir anhand von Unterlängen und Steilstellungen Auskunft über den Charakter der Künstlerin erhielten. Deren Anstrengung geht gerade darauf, den herrenlos gewordenen Zeichen-Pixeln einen Freiraum zu gewähren, in dem sie mehr sein können als die nichtswürdigen Träger von Informationen, und seien es solche aus dem Seelenkämmerlein der Künstlerin.
Vielleicht ist das der brisanteste Aspekt im Tun der Vera Grundhöffer. Sie Iäßt den Impuls für die Autonomie der Zeichen dort wirken, wo deren Heteronomie am größten ist. Und das ist bei der Schrift der Fall, wo Figuration und Verwertung in der Nachricht vereint ist. Hier dagegen wird das Chiffrengefängnis entschlüsselt.
Ähnlich virulent ist ihre Arbeit für den Aspekt des Ornamentalen und Dekorhaften, der den Bildern durchaus eigen ist. Ornament, wie Schrift, sind hier nicht länger schematische, als Klischee abrufbare Elemente. Diese sind zu Recht dem Verdikt einer auf freies, unbetretenes Gebiet und ungewohnte Erfahrung setzenden Avantgarde verfallen.
Vera Grundhöffer versteht das Ornament nicht als den Funktionär bestätigender, übertünchender, kaschierender Dekoration. So kann das Dekor anfangen, selbständig zu werden und seine figurativen Qualitäten frei von Kalkülen der Warenästhetik und Selbstdarstellung entfalten.
Bilder können, so verstanden, Räume dekorieren, die Erfahrung des den Betrachter umgebenden Raums steigern. Kein Wunder, daß Vera Grundhöffer gerne Bilder für Räume malt, deren Grundriß, deren Lichteinfall, deren vorherrschende Farben sie kennt. Mit einem so verstandenen Dekorbegriff geraten wir dann zuletzt in den Bereich der Installation, auf den als Raum-Kunst sich ihre Arbeit bezieht.
In einem solchen Raum-Kunst-Raum stehen Sie gerade.
Dr. Bernhard Uske
Frankfurt am Main, 16.11.1997
Grußwort zur Ausstellung 'Camouflage' in der Galerie 'Art Concept', Vallendar, im November 1997
Die Abbildungen und Texte wurden SKOP freundlicher Weise von Jörg Grundhöffer zur Verfügung gestellt, der den Nachlaß betreut.
Vera Grundhöffer, Papierbild, Nummer unbekannt |
Vera Grundhöffer, Fotoübermalung |